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Die Moorgeister und Frau Luna

 

Immer wieder kam Frau Luna zu Ohren, dass sich hinter ihrem Rücken schlimme Dinge im Moor abspielen sollten.

Eines Tages beschloss sie, selbst hinunter­ zu steigen und nach dem Rechten zu sehen.

Am Ende des Monats ließ sie eine ganz schmale Lichtsichel am Himmel zurück und hüllte sich in einen schwarzen Wolkenmantel.

Sie zog sich eine dunkle Kapuze über ihr silbern leuchtendes Haar und glitt auf die Erde hinab.

Die Stelle, die sich Frau Luna für die Landung herausgesucht hatte, war feucht und sumpfig.

Der schmale Weg war von Schilf- und Grasbüscheln gesäumt und zu beiden Seiten lagen, dunkel und unergründlich,

ausgedehnte Tümpel. Es herrschte stockfinstere Nacht. Das einzige Licht kam von den silbernen Schuhen von Frau Luna selbst.

Es war nur ein schwacher Schein in der schaurigen Finsternis, nicht heller als eine Kerzenflamme.

Während Frau Luna sich ihren Weg bahnte, flatterten die Wesen der Nacht, die Eulen, Fledermäuse und pelzigen Nachtfalter,

aufgeregt um sie herum. Frau Luna vernahm das unheimliche Heulen der Moorgeister und sah Irrlichter

über eine neblige Wiese tanzen. Immer, wenn Frau Luna an den Rand des schmalen Pfads geriet,

griffen knochige Finger aus den Tiefen des Wassers empor: Die Moorgeister waren auf Beute aus.

Anfangs konnte sich Frau Luna ihnen noch entziehen. Doch dann rutschte Frau Luna mit ihrem silbrigen Schuh

auf einem nassen Stein aus. Um nicht hinzufallen, suchte sie Halt an einem Büschel Riedgras, aber das Gras wand sich sofort

um ihre Handgelenke und hielt sie fest. Immer mehr Riedgrasbüschel schlängelten sich aus der Dunkel­heit herbei,

bis Frau Luna zitternd in der Falle saß.

Da erklang aus der Ferne eine dünne menschliche Stimme, die um Hilfe rief.

Ein Mann hatte sich im Moor verlaufen. Platschend bahnte er sich seinen Weg an den vielen Tümpeln und Pfützen

vorbei und versuchte, sich durch heftige Körperdrehungen den Fingern der Moorgeister zu entziehen.

Dabei schrie er verzweifelt um Hilfe. Frau Luna, die wusste, dass der Mann ohne Licht unweigerlich den Moorgeistern zum Opfer

fallen würde, schüttelte sich die Kapuze vom Kopf, so dass ihr die silbern leuchtenden Haare über die Schultern fielen.

In der plötzlichen Helligkeit erkannte der Mann den rettenden festen Weg, eilte dankbar darauf zu und gelangte sicher nach Hause.

 Das silbrige Licht lockte aber auch die Moorgeister von überall her aus dem Sumpf herbei.

Sie schützten ihre Augen gegen das Licht, drängten sich um die gefesselte Frau Luna und bedeckten sie mit Schilfgras und Steinen,

bis kein Funke ihres Lichts mehr nach draußen drang. Nun gab es für die Lebewesen, die sich nachts im Sumpf verirrten,

keine Hoffnung mehr. Ohne Licht waren sie dem Untergang geweiht.

Kichernd ließen sich die Moorgeister in ihre schlammigen Löcher zurück gleiten und harrten erwartungsvoll der Dinge,

die da kommen mochten.

Anfangs merkten die Bewohner des Dorfes im Moor gar nicht, dass sich etwas verändert hatte,

denn schließlich blieb der Himmel zu Beginn eines jeden Monats für ein paar Tage dunkel, bis Frau Luna sich wieder zeigte.

Diesmal aber gingen mehrere Wochen ins Land, in denen eine Nacht so dunkel war wie die davor,

und die Moorgeister wurden immer hungriger und dreister. Sie begannen, unter den Fenstern der Häuser herumzuschleichen,

und die Menschen mussten ihre Türen verrammeln, die ganze Nacht wach bleiben

und mit hell leuchtenden Feuern die bösen Geister vertreiben.

Als das zwei Monate so ging, wurden die Dorfbewohner immer verzweifelter. Doch eines Nachts, als ein paar Bauern

vor dem Feuer im Wirtshaus zusammen saßen, schlug sich einer von ihnen plötzlich auf die Schenkel und rief:

«Aber natürlich! Das kann eigentlich nur Frau Luna gewesen sein, die mich neulich aus dem Sumpf gerettet hat.

Auf einmal sah ich einen hellen Schein und fand den Weg wieder. Wenn ich es recht bedenke,

so muss dieser Schein von Frau Luna gekommen sein. Sie befindet sich in der Gewalt der Moorgeister  und ich weiß auch wo.»

Sofort holten die Dorfbewohner ihre Laternen, Heugabeln und Sensen, und bald marschierten sie aus dem Dorf hinaus,

schwenkten ihre Lampen und verhöhnten die Moorgeister, um zu zeigen, wie tapfer sie waren.

Aber gleich nach dem Dorfausgang machten die, die ganz vorne gingen, so plötzlich Halt,

dass die Nachfolgenden schimpfend in sie hineinliefen. Die Dorfweise nämlich, eine zahnlose Alte, von der alle glaubten,

sie sei eine Hexe, hatte sich mitten auf den Weg gestellt. Sie hielt eine tropfende Kerze in der Hand

und hatte den Zeigefinger auf ihre runzligen Lippen gelegt.

«Psst!», zischte sie. «Mit eurem Geschrei und euren Sensen könnt ihr die Moorgeister nicht einschüchtern.

Deckt lieber eure Laternen ab und tastet euch mit Stöcken durch den Sumpf.

Und legt euch einen Kieselstein unter die Zunge, so dass ihr nicht flüstern und uns den Moorgeistern verraten könnt.»

 

Die Männer taten, wie die Alte ihnen geheißen hatte. In einer langen Reihe tasteten sie sich auf schmalen Wegen quer durch

den Sumpf. Viele von ihnen befürchteten, dass sie so den Moorgeistern direkt in die Arme laufen würden.

Sie spähten ängstlich nach links und rechts in die Dunkelheit und murmelten leise Gebete vor sich hin.

Schließlich kamen die Männer zu einem Haufen aus Steinen und stinkendem, vermodertem Riedgras,

der sie entfernt an einen Grabhügel erinnerte. Auf ein Zeichen der alten Frau hin schlugen sie alle ihre Unhänge zurück und holten

die Laternen darunter hervor. Deren plötzlicher Lichtschein erschreckte die Moorgeister so sehr, dass sie unter lautem Kreischen

 in Deckung gingen. Dann begannen die Männer, den Steinhaufen abzutragen und das Riedgras wegzuschleppen.

Bald sahen sie ein silbriges Glitzern und kurz darauf hatten sie das Gesicht einer Frau freigelegt,

das schöner war als alles, was sie bisher gesehen hatten. Es warf ein taghelles Licht auf die Sumpflöcher ringsum.

Frau Luna streifte ihre Handfesseln aus Riedgras ab und schwebte wie ein gleißendes Leuchtfeuer in den Himmel hinauf,

um ihren Rettern den Heimweg zu weisen.

Seit diesem Tage wacht Frau Luna über die Menschen, die den Sumpf durchqueren.

Weil sie aber den Moorgeistern niemals wieder in die Quere kommen will, wagt sie sich nie mehr auf die Erde herab

und zeigt ihr Gesicht nur noch aus der Ferne, wo die Moorgeister sie nicht mehr erreichen können.

 

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